Ende 2016 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vorgelegt, ob ein Arbeitgeber von sich aus verpflichtet ist, den Urlaub von Mitarbeitern auch ohne Urlaubsantrag festzulegen. Jetzt hat der EuGH in dieser Sache entschieden und nimmt den Arbeitgeber bei der Urlaubsgewährung zumindest in die Beweispflicht.
Nach dieser Grundsatzentscheidung des EuGH werden Arbeitgeber zukünftig ihre bisherige Praxis, Urlaub zu gewähren, prüfen müssen. Bislang war es Usus, dass Arbeitnehmer ihren Urlaubsantrag einreichen müssen, damit ihr Urlaub zum Jahresende nicht verfällt. Denn § 7 Absatz 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) sieht vor, wenn keine Gründe dafür vorliegen, weshalb der Urlaub in das folgende Jahr zu übertragen ist, dass der Urlaub am Ende des laufenden Kalenderjahrs verfällt.
Doch wegen einiger Entscheidungen des EuGH zur konformen Auslegung der Urlaubsrichtlinie (Richtlinie 2003/88/EG) gab es zuletzt mehrere von der Rechtsprechung des BAG abweichende Urteile, beispielsweise des LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 12. Juni 2014, Az. 21 Sa 221/14), des LAG München (Urteil vom 06.05.2015, Az.: 8 Sa 982/14) oder des LAG Köln (Urteil vom 22.04.2016, Az.: 4 Sa 1095/15). Dabei vertreten diese Gerichte die Auffassung, der Arbeitgeber sei verpflichtet, seinen Arbeitnehmern auch ohne Antrag den Urlaub zu gewähren. Die Folge dieser Rechtsauffassung: Der Urlaub kann auch ohne Urlaubsantrag – in Form eines Schadensersatz- oder Abgeltungsanspruchs – über mehrere Jahre erhalten bleiben.
Diese Entwicklung in der Rechtsprechung hat dazu geführt, dass das BAG vom EuGH endgültig geklärt wissen wollte, ob ein Arbeitgeber verpflichtet ist, Urlaub auch ohne Antrag oder Wunsch des Arbeitnehmers im Urlaubsjahr zu gewähren und ihn somit dem Arbeitnehmer aufzuzwingen.
Das deutsche Urlaubsrecht sehe laut BAG eine solche Pflicht nicht vor. Die Frage war nun, ob das Europarecht dieser deutschen Praxis entgegensteht.
Grundsätzlich stützt der EuGH die Sicht des BAG zum nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub, der bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch besteht: Hätte ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wahrnehmen können und verzichtet er aus freien Stücken und bewusst darauf, nachdem er vom Arbeitgeber in die Lage versetzt wurde, den Urlaubs wahrzunehmen, bietet die EU-Richtlinie keinen Anspruch auf Zahlung einer finanziellen Vergütung, heißt es in dem Urteil. Der nicht genommene Jahresurlaub verfällt dann also mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ein Abgeltungsanspruch besteht nicht.
Der EuGH ergänzt diese Aussage jedoch mit einem deutlichen Aber: Nach Meinung der EuGH-Richter kann allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder im Bezugszeitraum keinen Urlaubsantrag gestellt hat, nicht automatisch begründen, dass er diese Urlaubstage schon deshalb verliert.
In diesen Fällen besteht also ein Anspruch des Arbeitnehmers auf eine finanzielle Vergütung – ähnlich der Rechtsprechung des EuGH zu lang erkrankten Mitarbeitern.
Arbeitgeber müssen also ihre Mitarbeiter über (drohenden) Urlaubsverfall informieren.
Denn letztlich obliegt es nach Auffassung der EuGH-Richter dem Arbeitgeber vor Gericht zu beweisen, dass der Arbeitnehmer in die Lage versetzt wurde, den Jahresurlaub zu nehmen. Dies begründet das Gericht v.a. damit, dass der bezahlte (Mindest-)Jahresurlaub ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union sei. Da der Arbeitnehmer aber als die schwächere Partei des Arbeitsverhältnisses anzusehen sei, könnte er davon abgeschreckt werden, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen.
Daher trägt der Arbeitgeber eine besondere Verantwortung dafür, dass der Arbeitnehmer seinen ihm zustehenden Jahresurlaub nimmt. Er müsse deshalb beweisen, dass er den Arbeitnehmer durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt hat, die fraglichen Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen.
In Zukunft gilt also: Ein nationales Gericht, das mit der Abgeltung von – bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses – nicht genommenem Jahresurlaub befasst sei, muss prüfen: Hat der Arbeitgeber geeignete und konkrete organisatorische Maßnahmen ergriffen, um den Arbeitnehmern ihren bezahlten Jahresurlaub zu ermöglichen?
Diese Information führt jedoch nicht zur Pflicht, den Mitarbeiter zum Urlaub zu zwingen, beziehungsweise dessen Urlaub einseitig festzulegen. Auch müsse laut EuGH darauf geachtet werden, dass Arbeitnehmer nicht bewusst Mindesturlaubstage alleine deshalb ansammeln, um sich diese bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vergüten zu lassen. Dies sei mit EU-Recht nicht vereinbar, betonte das Gericht.
Die abschließenden Entscheidungen der konkreten Fälle muss das BAG nun im Einklang mit der Entscheidung des EuGH treffen. Dabei wird auch deutlich werden, wie das Gericht mit weiteren Fragen umgehen wird, wie der nach dem Umfang der Informationspflicht des Arbeitgebers oder der Frage, ab wann man davon ausgehen kann, dass die Ausübung des Urlaubsanspruchs vom Arbeitgeber nicht mehr ermöglicht wurde. Es bleibt abzuwarten, welche Schlussfolgerungen das BAG aus dem EuGH-Urteil ziehen wird. Feststeht, dass der Arbeitgeber künftig mehr Verantwortung bei der Frage der Urlaubsgewährung trägt.